Cradle 2 Cradle – Interview zum Kreislaufwirtschaftsmodell mit Dr. Michael Braungart

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Das Prinzip Cradle to Cradle – zu Deutsch „Von der Wiege zur Wiege“ will nicht weniger als die Basis für die nächste industrielle Revolution sein. Im Kern besagt diese Kreislaufwirtschaft, dass alle in einem Fertigungsprozess eingesetzten Rohstoffe über den Lebenszyklus einer Ware hinaus wieder vollständig in den Produktionsprozess zurück gelangen sollen. Sowohl für biologische Kreisläufe bei Verbrauchsgütern sowie für technische Kreisläufe bei Gebrauchsgütern. Das Konzept kennt – wie die Natur selbst – keinen Abfall und soll positiven Einfluss auf Mensch, Wirtschaft und Umwelt schaffen. Es geht um einem neuen Umgang mit Ressourcen und Stoffströmen.

Der Cradle to Cradle Ansatz fängt ganz vorne in der Entwicklungs- und Herstellungskette an, nicht erst beim Recyceln. Das ist auch der Hauptunterschied zu bisher bekannten Verfahren, bei denen Materialen zwar wiederverwertbar sind, es aber entweder Abfallstoffe gibt, oder die Grundstoffe der Natur unwiederbringlich entzogen werden und es so zu einem weiteren Ressourcenschwund kommt.

Dass diese schon längst keine reine theoretische Vision ist, sondern schon heute in zahlreichen Produkten und Dienstleistungen Anwendung findet, zeigen zahlreiche Beispiele aus unterschiedlichsten Bereichen. Wenn es auch zunächst als Scherz anmutet, wenn Kleidungsstücke und Plüschtiere „essbar“ sind, da sie aus rein natürlichen Bestandteilen hergestellt wurden, sie sich aber ganz normal anfühlen und nicht von konventionell erzeugten Produkten zu unterscheiden sind, so wird das Ganze erst dann richtig spannend, wenn es um unendlich wiederverwertbare Kunststoffe, umweltfreundliche und gesunde Haushaltsprodukte und ganze Bauverfahren geht. Allein in Baden-Württemberg sind rund 11.000 Produkte und 30 Firmen Cradle to Cradle zertifiziert.

Ein entscheidender Faktor, dass das in der Praxis funktioniert hierbei ist das Zusammenspiel von Ingenieuren, Marketing und Designern. Es erfordert von allen beteiligten bis hin zu den Mitarbeitern im Unternehmen vor allem ein kreatives Umdenken in den Köpfen.

Der Chemiker und Verfahrenstechniker Dr. Michael Braungart ist Vorreiter und einer der Vordenker von Cradle to Cradle. Zusammen mit seiner Ehefrau, der Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland und Vorsitzenden des Cradle 2 Cradle e.V. Dr. Monika Griefahn erläutert Sie in einem Interview das Cradle 2 Cradle Modell:

Wie müssen zukunftsfähige Produkte aussehen?

Dr. Monika Griefahn (MG)
Die Leute wollen in ihrem Alltag und beim Konsumieren Vielfalt, Qualität, Schönheit und sie wollen vor allem oft nicht dem Überfluss entsagen. Das geht aber nur dann lange gut, wenn wir es schaffen die linearen Linien des unwiederbringlichen Verbrauchens und Aufzehrens von Rohstoffen durch etwas neues und schlaueres zu ersetzen. Wir brauchen vor allem intelligente Produkte. Dabei geht es nicht so sehr um Effizienz, sondern vor allem um Effektivität. Wir brauchen die richtigen Produkte, wenn es um Essen, Kleidung, Wohnen und auch einen gewissen Lebensstandard geht. Das ist vor allem entscheidend bei den Ländern, die heute an der Schwelle der industriellen Entwicklung stehen, wo wir in Europa vor ein paar Jahrzehnten waren. Ich denke dabei z.B. an China, Afrika oder Indien, dass dort nicht die gleichen Fehler gemacht werden wie bei uns, sondern gleich die richtigen Produkte, die in Kreisläufe gehen, Verbreitung finden. Produkte müssen sexy sein, die Sinnlichkeit der Menschen ansprechen und dennoch müssen wir uns vom klassischen Konsum an manchen Stellen verabschieden. Es muss zukünftig sicher nicht ein SUV sein, sondern einfach ein gutes Verkehrssystem.

Dr. Michael Braungart (MB)
Wir verlieren momentan ca. 5.000 mal mehr Boden als dass neu hergestellt wird. Das heißt, dass die Erde für ca. 5 Milliarden Menschen ausgelegt ist, so wie wir jetzt wirtschaften. Das wiederum bedeutet, wir müssen die Dinge grundsätzlich neu und anders machen und nicht das bestehende nur stückchenweise Optimieren. Das ist nur eine scheinbare Verbesserung, löst aber nicht unsere Probleme im Ansatz.

MG
Ein wichtiger Anteil dieses neuen Machens ist, dass wir Produkte in Zukunft hauptsächlich nur noch Nutzen und nicht – so wie Heute – immer gleich besitzen wollen. Das wird der entscheidende Änderungsfaktor sein. Jüngere Leute wollen heute z.B. oft kein eigenes Auto haben, sondern nutzen CarSharing. Sie wollen nicht einfach nur doof einen Parkplatz suchen und viel Geld für ein veraltetes Statussymbol ausgeben. Sie wollen einfach nur von A nach B kommen. Auch vieles anderes wird heute geteilt und dieses Konzept findet sich auch in Cradle to Cradle wieder. Man kauft eine Serviceleistung wie z.B. 1000 Mal Waschen in einer Waschmaschine und nicht die Waschmaschine selbst. Das Eigentum darf nicht mehr so Religion sein, wie es heute noch meistens ist.

Welche Rolle kommt bei der Entwicklung von vorausschauenden Konzepten der künftigen Generation von Gestaltern und Designern zu und wie sieht es da momentan in der Lehre aus?

MG
Wir sehen an den Hochschulen viel Interesse und dass sich da einiges anfängt zu bewegen. Eine Vernetzung findet immer mehr statt und es wird erkannt, dass man sich um den gesellschaftlichen Anspruch kümmern muss. Wie kann man Dinge nützlich und positiv für die Menschen machen ist die Aufgabenstellung.

MB
Die Designer werden dadurch wirklich wichtig. Weniger dass sie ein Schnörkelchen hier und ein nettes Gadget da machen, sondern vielmehr, dass sie wirklich echte Gestalter werden, indem sie das Produkt innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette beeinflussen können. Die Frage ist aber, haben wir hierbei genügend kreative Leute, die wirklich diese Verantwortung übernehmen wollen? Oder haben wir eher die Künstler, die ein einigermaßen gesichertes Einkommen haben wollen? Es darf eigentlich keine Designschule in Europa geben, die nicht Cradle to Cradle auf dem Plan hat. Der Designer steht bei unserem Ansatz im Mittelpunkt. Nur momentan ist es einfach so, dass die Hälfte der Designer einfach keine Lust hat dazu. Wir sprechen oft die falschen jungen Leute an, Designer zu werden. Viele Leute werden Ingenieure, obwohl sie eigentlich Designer wären. Viel Betriebswirte wären wunderbare Designer, Kommunikationsdesigner, Prozessdesigner, oder im Supply Chain Management genau an der richtigen Stelle – wenn man all diese Dinge als Designer machen könnte; das hätte eine ganz neue Qualität. Und vor allem muss man heute hierbei noch viel besser zusammen zu arbeiten in diesen unterschiedlichen Disziplinen. Auch in Hochschulen und in Unternehmen.

Wie kann dieses neue Denken und Handeln in der Gestaltung von Architektur und beim Wohnen ausschauen?

MG
Da ist es leider oft so, dass Dinge von Außen betrachtet schön ausschauen, aber inhaltlich am Ziel vorbeigehen. Oft wird zu kleinteilig gedacht. Der Mensch wird der Architektur angepasst und nicht die Architektur dem Menschen und der Natur. Der Baubereich nimmt fast die Hälfte aller Materialien und aller Energie ein, die wir verbrauchen und wenn der anders wird, dann hat das auch auf alle anderen Dinge einen positiven Einfluss.

Wenn es um Produktion der Zukunft geht, dann sind 3D Drucker ein großes Thema. Wie sehen Sie da die Chancen und Risiken dieser technischen Innovation?

MB
Das 3D-Druckmaterial, was sie momentan haben, ist eine Gemeinheit. Weder die Weichmacher, noch die Antioxidenzien, noch die UV Stabilisatoren – nichts ist wirklich für die Menschen hergestellt. Sie vergiften die Menschen quasi damit. Was Umwelt und Gesundheit angeht, sind die 3D Materialien noch extrem rückständig entwickelt. Wenn ich aber das 3D Material den Menschen nur als Dienstleistung anbiete und es z.B. in einer Art Bank lagere, wo man es sich ausleiht, dann kann ich viel bessere Materialein verwenden. „Lieber besser als billiger“ müsste auch hier die Devise sein.

Wo bedarf es staatlicher Regularien und politischer Vorgaben bei der Durchsetzung von nachhaltigem Handeln?

MG
Z.B. im Beschaffungswesen. Politik kann hier Beschaffungsrichtlinien vorgeben, in der Elemente eines verantwortungsvollen und umsichtigen Einkaufs vorgegeben werden. Studentenwerke machen dies sehr häufig, dass sie als öffentlicher Träger sinnvoll bewusst Material einkaufen.

MB
Und es gibt natürlich auch ganz klare Grenzen, was nicht privatisiert werden darf. Das sind elementare Dinge zur Daseinsvorsorge, wie z.B. Krankenhäuser und Trinkwasser. Da kann die öffentliche Hand Dinge vorgeben, die andere dann inspirieren. Die Kommune hat sicherlich die weitesten Handlungsmöglichkeiten. Auch im Bereich Wohnen. Hier könnte man mit den zuständigen Institutionen workshops durchführen und aufzeigen, dass eine Cradle to Cradle Bauweise durchaus gar nicht teurer sein muss, als konventioneller Bau.

Ein anderes Beispiel: Wenn z.B. Konstanz sagen würde, wir wollen 2020 alles Papier kompostierbar haben, dann würden die Konstanzer Druckerei eine Chance haben. In drei Jahren werden sie andernfalls weg sein. Weil über digitaldruck, über 3D Druck und über andere Dinge, werden sie über die Produktion von Broschüren und Zeitschriften den Offsetdruck gar nicht mehr halten können, weil sie zu teuer sind. Ich kann am nächsten Tag in Zürich die Broschüre aus China viel billiger einfliegen lassen. Und hier wird dann das ganze teuer entsorgt. Jetzt und heute geht es um Innovation. Und nicht erst morgen.

Wegwerfen ist eigentlich ein Lustvoller Vorgang, aber halt mit den richtigen Materialien. Man könnte z.B. einen Erlass erteilen, der besagt bis 2030 wird kein Müll mehr verbrannt. Das hätte zur Folge, dass die Produkte neu werden müssten. Nehmen Sie als Beispiel Babywindeln. 20 % der Konstanzer Müllmenge sind Windeln. Momentan sind diese Wasserspeicher so beschaffen, dass sie nur verbrannt werden können. Wenn man dies vom Material her ändern würde, könnte man das einsammeln, sterilisieren und ein Pflanz-Substrat gewinnen. Man könnte dann mit einem Baby 150 Bäume pflanzen. Heute wird nur an irgendwelchen belanglosen Pseudoinnovationen bei Windeln herumfuhrwerkt und dann über geschicktes Marketing verkauft. Wenn man einmal verstanden hat, dass weniger schlecht nicht gut ist, sondern nur schlecht weniger, dann möchte man mit weniger schlecht nicht weiter machen.

Weitere Infos: http://c2c-ev.de/

Das Interview führte Ralph J. Schiel im Rahmen der inselDENKER Show von Tobias Bücklein.

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